Historie der Burgkunstadter Schuhindustrie
19. Jahrhundert
Beginn der industriellen Produktion
Im Jahr 1888 gründete der jüdische Bürger Joseph Weiermann die erste mechanische Schuhfabrik in Burgkunstadt. Schnell folgten ihm weitere Mitbürger – nicht alle mit dauerhaftem Erfolg.
Einige der Schuhproduktionsstätten jedoch wuchsen zu bedeutenden Fabriken heran und sollten die Wirtschaft und die Entwicklung von Stadt und Umland über ein Jahrhundert lang entscheidend prägen.
20. Jahrhundert
Blütezeit der Schuhproduktion, Schuhversand BAUR entsteht
Aus dieser Industrie entstand 1925 mit der Firma Baur das erste deutsche Schuhversandhaus auf Teilzahlungsbasis.
In der Blütezeit in den 50er Jahren gaben vier große Schuhfabriken ca. 2.300 Beschäftigten Arbeit und ermöglichten Stadt und Bürger:innen Wohlstand. Burgkunstadt war die „Schuhstadt am Obermain“, neben Pirmasens die wichtigste Schuhproduktionsstätte Deutschlands.
Letztes Drittel des 20. Jahrhunderts
Rückgang der Produktion
Immer mehr Betriebe mussten ihre Produktion einstellen wegen der zunehmenden Importe aus Billiglohnländern.
1990 schloss mit der Obermain-Schuhfabrik die letzte Schuhproduktionsstätte Burgkunstadts.
Das deutsche Schustermuseum
1991 – das Deutsche Schustermuseum wird eröffnet.
Viele der Ausstellungsstücke im Museum stammen direkt aus Burgkunstadt und den ehemaligen Schuhfabriken.
Sie wurden ehrenamtlich von den Burgkunstadtern Rudolf Barth und Elmar Bergmann zusammengetragen. Mit ihrer Sammlung und weiteren Spenden konzipierten Sie die Ausstellung und richteten das Museum im Gebäude am Marktplatz 1 ein.
Das Gebäude hatte die Stadt Burgkunstadt zuvor erworben und zu diesem Zweck saniert.
Geschichte der Stadt Burgkunstadt und der Schuhindustrie...
...ab dem 19. Jahrhundert - Zeitstrahl
1862
Beginn der Industrialisierung
1862
1888
Erste mechanische Schuhfabrik
Die erste mechanische Schuhfabrik Burgkunstadts wird in den Nebenräumen der „Zapf‘schen Gastwirtschaft“ (heute „Drei Kronen“) von Joseph Weiermann eingerichtet.
Die Weiermann‘sche Fabrik zieht 1891 wegen Platzmangel in die Kulmbacher Straße.
1893
Zweite Schuhfabrik
1893
1898
Schuhmachergewerkschaft + weitere Schuhfabrik
13 Arbeiter aus den Schuhfabriken gründen eine Schuhmachergewerkschaft in Burgkunstadt.
Gründung der Maintal-Schuhfabrik durch J. Riexinger.
Die Weiermann’sche Schuhfabrik nimmt an ihrem endgültigen Standort in der Bahnhofstraße den Betrieb auf.
1903
Gründung Firma Püls
1903
1910
Streik
1911
Gründung Gotthard-Schuhfabrik
1911
1912
Großbrand
1914
Beginn 1. Weltkrieg
1914
1918
Ende 1. Weltkrieg
1922
Gründung Otto-Hühnlein-GmbH
1922
1925
Inflation bis Schuhversand
Die Inflation führt dazu, dass der Preis für ein Paar „Rindbox-Derbystiefel“ innerhalb von 10 Monaten von 173 auf 14.840 Mark ansteigt. Die Burgkunstadter Schuhfabriken überstehen diese problematische Zeit dennoch gut.
Die Püls-Schuhfabrik wird durch Ausbau in der Bahnhofstraße zur zweitgrößten Schuhfabrik Bayerns mit rund 800 Mitarbeitern und über 5000 produzierten Paar Schuhen täglich.
Friedrich Baur gründet den Baur-Schuhversand, der anfangs ausschließlich Schuhe versendet und die Ratenzahlung zulässt, um auch weniger wohlhabenden Bürger:innen Qualitätsschuhe zu ermöglichen.
1926
Kinderbetreuung
Auch viele Frauen arbeiten in den Schuhfabriken. Zur Betreuung der Kinder stiftet Hans Püls deshalb das Theresien-Kinderheim (Kindergarten).
1926
1930
Gründung Fa. Büttner & Co
Kaspar Büttner gründet die Firma Büttner & Co und schließt mit der Spezialisierung auf Sandalen und Arbeitsschuhe eine Marktlücke in Burgkunstadt.
1933
Auflösung des Stadtrates
Auflösung des Stadtrates als Folge der Machtergreifung der NSDAP. Stattdessen wird eine „Stadtverordnung“ aus zehn NSDAP-Mitgliedern eingesetzt.
1933
1935
Jesus-Latschen, ein Verkaufsschlager
Die Otto Hühnlein GmbH produziert Sandalen, sog. Jesus-Latschen, ein Verkaufsschlager, der bis nach Afrika exportiert wird.
1936
Jüdische Betriebe unter Druck
Das NS-Regime setzt jüdische Betriebe immer mehr unter Druck. Viele jüdische Unternehmer der Stadt geben ihre Fabriken auf, so etwa Stephan Iglauer, der die Firma von seinem Vater übernommen hatte.
Der Baur-Versand kauft die ehem. Fabrik Iglauer.
1936
1938
Vorkriegszeit
Die Synagoge in der Kulmbacher Straße wird während der Reichspogromnacht geschändet und infolgedessen abgerissen.
Die jüdischen Aktionäre der Josef Weiermann Aktiengesellschaft (JWA) werden zum Verkauf gezwungen. Die JWA wird „arisiert“ und in Obermain Schuhfabrik AG umbenannt. Das Namenskürzel wird in „Immer WertArbeit“ umgedeutet.
1940
2. Weltkrieg
Nach Beginn des 2. Weltkrieges muss die Produktion in den Schuhfabriken stark reduziert werden, da viele Arbeiter in die Armee berufen werden.
Zwei große Pirmasenser Schuhfabriken werden wegen ihrer Nähe zu Frankreich in der Obermain-Schuhfabrik zwangseinquartiert.
1940
1943
2. Weltkrieg
Immer mehr Fabrik-Arbeiter werden in die Armee eingezogen, ihre Plätze werden zum Teil mit Kriegsgefangenen besetzt.
1944
2. Weltkrieg
Die Obermain-Schuhfabrik in der Bahnhofstraße erhält einen grünen Tarnanstrich zum Schutz vor feindlichen Bombern.
1944
1945
Ende 2. Weltkrieg
Am 12. April übergeben der kath. Stadtpfarrer Dr. Johannes Kist und der 2. Bürgermeister Hans Dumrauf kampflos die Stadt. Burgkunstadt wird am 13. April von den Amerikanern besetzt.
1948
Wirtschaftsaufschwung
Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung, es folgt ein Wirtschaftsaufschwung. Bei Püls, Obermain, Gotthard und Hühnlein werden in diesem Jahr 1,4 Millionen Paar Schuhe hergestellt.
1948
1950
Nachholbedarf an Konsumgütern
In der Nachkriegszeit herrscht ein allg. Nachholbedarf an Konsumgütern, so sind auch Schuhe aus Burgkunstadt „ein Renner“.
Der Baur-Versand erweitert sein Sortiment um Taschen, Strümpfe, Schirme und Uhren und erarbeitet sich so seine überregionale Bekanntheit.
1952
Eröffnung „Schuh-Schneider“
„Schuh-Schneider“ wird eröffnet und erfährt mit dem Angebot von Schuhen zweiter Wahl zu einem geringeren Preis einen überregionalen wirtschaftlichen Erfolg.
1952
1953
Der Globetrotter
Die Firma Püls bringt den „Globetrotter“ auf den Markt, einen Schuh für Reisen und Sport, der großen Anklang bei Kunden findet.
1955
Stetiges Wachstum
Die Schuhfabriken wachsen stetig, allen voran die Obermain-Schuhfabrik und die Hühnlein GmbH.
1955
1956
Beginnende Wirtschaftswunderzeit
Die beginnende Wirtschaftswunderzeit zeigt sich in Burgkunstadt unter anderem mit dem Bau des neunstöckigen Baur-Gebäudes anstelle des Theresien-Kinderheimes.
1965
Importierte Billigschuhe
Die wachsende Konkurrenz durch importierte Billigschuhe zwingt viele westdeutsche Schuhfabriken zur Schließung.
Die Obermain-Schuhfabrik und die Schuhfabrik Püls erleben jedoch entgegen dem nationalen Trend einen Aufschwung, der die ganze Stadt beflügelt: In den Fabriken arbeiten ca. 2300 Beschäftigte aus Burgkunstadt und Umland.
Dr. h.c. Friedrich Baur stirbt. Die von ihm gegründete Friedrich-Baur-Stiftung fördert bis heute medizinische Forschung und Kunst. Der Baur-Versand gehört inzwischen zur Otto-Group.
1965
1971
Bau einer großen Lagerhalle
Der Baur-Versand errichtet eine große Lagerhalle auf der Main-Wiese, was zum Ausbau der Bahnhofstraße führt.
1974
Hühnlein-Werke schließen
Betriebsaufgabe der Hühnlein-Werke. Die stark ansteigenden Importe haben das Unternehmen sehr geschwächt, außerdem fehlt ein Erbe.
1974
1975
Stilllegung der Püls-Fabrik
Überraschend beginnt die schrittweise Stilllegung der Püls-Fabrik, ebenfalls wegen der „beträchtlichen Importdrucks“. Am Ende bleibt nur noch der „Globetrotter“-Teil der Firma, der schließlich mit der Obermain-Schuhfabrik zusammengeschlossen wird.
1976
„Schuh-Oscar“
Auszeichnung der Obermain-Schuhfabrik mit dem italienischen „Schuh-Oscar“ für „hervorragende Verarbeitung und Gestaltung, sowie mustergültigem Materialeinsatz“ als einzige deutsche Firma.
1976
1977
Obermain-Schuhfabrik expandiert
Die Obermain-Schuhfabrik wird durch einen mächtigen Erweiterungsbau ergänzt.
1981
Entlassungen in der Schuhfabrikation
Umfangreiche Entlassungen in der Schuhfabrikation bis 1983 wegen des „eiskalten Windes“ der billigeren Produkte der ausländischen Konkurrenz.
Burgkunstadt verliert das letzte Wahrzeichens seiner Industrialisierung: Der 30 m hohe Fabrikschlot der ehemaligen Schuhfabrik Püls wird gesprengt.
1981
1983
Das Ende der Schuhindustrie zeichnet sich ab.
Die Obermain-Schuhfabrik meldet Kurzarbeit an und muss ihre Schuhe mit durchschnittlich 19 DM Verlust pro Paar verkaufen.
1988
100-jähriges Jubiläum
Feier des 100-jährigen Jubiläums der Burgkunstadter Schuhindustrie. Der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hält eine Lobrede auf das Erbe des Ehepaares Baur.
1988
1990
Schließung der Obermain-Schuhfabrik.
Die ursprünglich von Joseph Weiermann in den Nebenräumen des heutigen Gasthofes „Drei Kronen“ gegründete Firma ist somit die erste und letzte Schuhfabrik Burgkunstadts.
Die Stadt verliert damit ihren wichtigsten Wirtschaftszweig, der über 100 Jahre das Leben in Burgkunstadt und seiner Umgebung maßgeblich geprägt hat. Hunderte „Schuster“ haben seit 1970 ihren Arbeitsplatz verloren und stehen nun vor dem „Nichts“.
Dank der mittelständischen Struktur in der Region finden viele relativ schnell einen neuen Arbeitsplatz, vor allem beim Großversand Baur.
An Burgkunstadts Zeit als „Schuhstadt“ erinnert das 1991 eingeweihte „Deutsche Schustermuseum“.